#coronacooking

Corona rockt! Noch vor wenigen Wochen hätte sich niemand von uns vorstellen können, wie sehr ein winziges Virus unseren Alltag verändern kann. Kaum ein Moment oder Bereich in unserem Alltags- und Berufsleben, der nicht davon betroffen ist. Egal wo und wie wir leben, arbeiten oder essen: Das Thema ist allgegenwärtig und schränkt unser Alltagsleben und unsere Gewohnheiten massiv ein. Hier «rocken» gerade – wenn überhaupt - ganz andere Fragen.

 

Lagerkoller im Lockdown? Verbannt im Home-Office und immerzu Zuhause rückt das Thema «Nahrungsbeschaffung» bei vielen plötzlich wieder in den Vordergrund. 3 oder mehr Mahlzeiten täglich für sich selber oder eine (kleine oder grössere) Familie organisieren, in der sonst üblicherweise ein grosser Teil der Mahlzeiten ausser Haus eingenommen werden, kann urplötzlich zu einer logistischen und kulinarisch-kreativen Herausforderung werden. Das fängt oft schon beim Einkauf an.

 

Krisen bergen aber immer auch Chancen. In einer Krise wie dieser verschieben sich unsere Prioritäten. Auch beim Kochen und Essen mit und während Corona: was hat sich verändert? Und was bleibt?

Photo by Victor He on Unsplash

#coronacooking in den Social Media

Kein Trend, keine aktuelle Entwicklung auf der Welt, ohne dass die digitalen und sozialen Medien direkt darauf aufspringen. So liefert Google aktuell 37 Mio Hits bei der Eingabe «Kochen mit Corona». Der Begriff «corona cooking» liefert rund 272 Mio Hits (Stand: 22.4.2020). 

 

Ähnliche Hashtags wie #coronacooking, #pandemiccooking, #covidcooking, #quarantinecooking oder #quarantineandcook begegnen uns reichlich und unaufgefordert z.B. auf Instagram. Das gibt uns zumindest das gute Gefühl, dass andere Menschen auf der Welt sich auch gerade mit diesem Thema auseinandersetzen und wir uns mit dem Problem nicht alleingelassen fühlen. Die Rezeptflut hier ist übermächtig und leider auch sehr unübersichtlich – aber eignet sich durchaus für ein paar Inspirationen in ruhigen Momenten mit dem Smartphone auf dem Sofa.

Einkaufen in Zeiten von Corona

Über Hamsterkäufe soll hier nicht berichtet werden. Dazu haben diverse Medien schon viel zu viel geschrieben und mit jedem weiteren Foto von leeren Regalen die unsinnige Diskussion und Verunsicherung der Menschen weiter angeheizt. Zu jedem Zeitpunkt gab es für jeden von uns hier in der Schweiz genügend Lebensmittel zu kaufen. Neu war für uns sicher aber die Erfahrung, dass einzelne Produkte zeitweise nicht erhältlich waren. Vor allem lang haltbare Lebensmittel wurden zu Beginn der Krise verstärkt nachgefragt. Dazu gehörten Mehl, Nudeln und manche Konserven. Im März 2020 war die Nachfrage nach Spaghetti, Penne & Co rund 2.5 mal höher, als in einem «normalen März». Wer als Produzent hier flexibel reagieren und mehr produzieren konnte und von keinen anderen Produktionspartnern oder Lieferketten abhängig war, war klar im Vorteil.

 

Nudeln allein werden mit der Zeit langweilig. Inzwischen hat sich die Nachfrage in der Schweiz auf andere Produkte verlagert. Hierzu gehören Eier, Butter, Kartoffeln und Hefe. Für Eier, Butter und andere Produkte  hat der Bundesrat daher Anfang April die 

Teilzollkontingente erhöht, damit diese Produkte vermehrt aus dem Ausland importiert werden können. 

 

Ganz anders verhält es sich beim Fleisch. Hier ist die Nachfrage stark gesunken, was damit begründet wird, dass dieses Fleisch üblicherweise beim Restaurantbesuch verzehrt wird. Im Restaurant essen die Leute gerne ein teures Stück. Wer selber kochen muss, bevorzugt Hackfleisch und Pouletbrust - statt Entrecôte oder Rindsfilet. Um den Fleischmarkt kurzfristig zu stabilisieren, hat der Bundesrat kürzlich 3 Mio Franken für eine Einlagerung (sprich: Einfrieren) der Überproduktion gesprochen. Als Zwischenlösung eine nachvollziehbare Massnahme. Für die Zukunft lohnt es sich beim Fleischkonsum und der Fleischproduktion noch genauer hinzuschauen – nicht nur aus gesundheitlicher Sicht.

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Corona fördert regionalen Konsum

Nicht nur ein geringerer Fleischkonsum, auch andere Entwicklungen im Einkaufsverhalten zeigen eine erfreuliche Tendenz. Bis vor wenigen Wochen lediglich ein Trend - jetzt ist es quasi ein Muss: regionales und lokales Einkaufen. Gemäss einer aktuellen Studie der Hochschule Luzern lässt sich seit dem Beginn der Corona-Krise ein klarer Trend zum verstärkten Einkauf von regionalen Produkten feststellen. Zusätzlich äusserten die Befragten, dass sie vorhaben, auch nach der Krise mehr als bisher auf die Regionalität zu achten und z.B. öfter mal im Quartierladen oder auf dem Bauernhof einzukaufen. Das wäre eine schöne Entwicklung hin zu den meist hochwertigen, wenig oder unverarbeiteten Lebensmitteln lokaler Anbieter. Ganz konkret beobachten lässt sich dies aktuell bei den Spargelbauern, die in ihren Hofläden jetzt zur Spargelsaison buchstäblich überrannt werden. 

Wer profitiert vom Online-Boom?

Überrannt werden auch alle Anbieter, die in der aktuellen Situation Lebensmittel bis an die Haustüre liefern. Wer versucht hier zu bestellen, muss oft mit Lieferengpässen und langen Lieferzeiten bis zu zwei Wochen rechnen. Die Portale der grossen Detailhändler mussten zeitweise sogar Online-Warteschlangen einrichten. Aber nicht nur die Grossen, auch kleinere Unternehmen boomen und können von der aktuellen Situation profitieren. So hat z.B. Farmy, die Nummer 3 im Schweizer Lebensmittel-Onlinehandel sein Volumen verfünffacht und verpackt täglich rund 40 000 Produkte. Vor Corona waren es 7500 am Tag. Besonders viel «shoppen» hier die über 45-Jährigen. Gemäss der Website bezieht Farmy 65 % seiner Produkte aus der Schweiz, namentlich von kleinen und mittleren Unternehmen. Diese  wiederum können auf diesem Wege ihre Verluste durch den Ausfall von Märkten und der gesamten Gastronomie ausgleichen. So profitieren auch die ganz Kleinen. 

 

Wer bisher noch kein Gemüse-Abo hatte, überlegt sich in der aktuellen Situation vielleicht eines zu kaufen? Auch das Konzept von Kochboxen, die die kompletten Zutaten für definierte Rezepte per Kurier liefern, können uns über Ideenengpässe und Zeitmangel beim Kochen aufgrund von Mehrfachbelastungen hinweghelfen. 

 

Auch wenn es ausser Online-Shopping kaum Möglichkeiten für den Konsum von Waren und Dienstleistungen gibt, ist der ein oder andere Geldbeutel für Lebensmitteleinkäufe womöglich aufgrund von Kurzarbeit oder Jobverlust derzeit schmaler. Lebensmittel-Angebote und Aktionen sind daher besonders beliebt: In Corona-Zeiten werden wöchentlich 30% mehr Lebensmittel-Prospekte gelesen als noch zuvor. 

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Kaufst du noch oder kochst du schon?

Kochen erlebt in Zeiten von Corona eine Renaissance. So ist überraschend für viele die Nachfrage nach frischem Gemüse in den letzten Wochen deutlich gestiegen und Herr und Frau Schweizer entdecken das Kochen zu Hause neu. Über den Detailhandel werden derzeit geschätzt rund 20 - 30 % mehr Gemüse verkauft

 

Nicht nur die Zutaten und der Wunsch nach Abwechslung auf dem täglichen Speiseplan spielen eine Rolle. Wir wissen seit Jahren, dass die Kochkompetenz – vor allem auch bei Kindern und Jugendlichen - erheblich gesunken ist. Auch wenn Nudeln kochen fast alle können, sind viele nicht mehr in der Lage, sich aus vier oder fünf Produkten eine vernünftige Mahlzeit selber zuzubereiten. Widerspricht sich das – oder wie kommen die Menschen zur Zeit zu ihrer warmen Mahlzeit auf dem Teller und wo holen sie sich das notwendige Know-How dazu?

Photo by Icons8 Team on Unsplash

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Food-Portale und Rezept-Webseiten

In der Corona-Krise konzentriert sich unser Alltag auf unsere eigenen vier Wände. Wie also vorgehen? Rezept-Websites werden in diesen Zeiten aufgerufen wie nie, die Klickzahlen explodieren. So verzeichnet Migusto seit Beginn der Corona-Massnahmen 30% mehr Anfragen auf die Website selber, 40% mehr auf Instagram. Anderen ergeht es ähnlich. Swissmilk und die Aktion "Küche statt Sofa" verzeichnete im März 2020 sogar über 100% mehr Suchanfragen gegenüber dem Vorjahr. Mit der Rezept-Initiative «Betty kocht mit Dir!» unterstützt Betty Bossi die Menschen beim Kochen und Backen zu Hause. Seit Ende März besteht ein freier, digitaler Zugang zu allen Kochbüchern seit 1973.

Die Ausnahmesituation kreativ bewältigen

Obwohl wir uns alle derzeit in einer Ausnahmesituation befinden, ist der gewohnte Umfang und ein breites Sortiment an Lebensmitteln verfügbar. Immer Zuhause zu sein offenbart auch neue Zeitfenster und Abläufe, verbunden mit dem Wunsch, sich und seiner Familie was Gutes zu tun. Was ist da naheliegender als Kochen? Gemeinsam Inspirationen suchen, Rüsten, Schneiden, Kneten, Formen, Würzen und Anrichten? Mit gemeinsamen Mahlzeiten bringen wir ausserdem ein bisschen mehr Struktur in unseren (ungewohnt corona-strukturlosen) Alltag und haben eine sinnvolle, befriedigende Beschäftigung. Kinder und Jugendliche können hier ganz einfach miteinbezogen werden. Wir haben jetzt Zeit, gemeinsam zu üben. Kochen hilft vielen, mit der schwierigen Situation klar zu kommen.

Photo by Caroline Attwood on Unsplash

Essen und Trinken in Zeiten von Corona – wissenschaftlich

Die aktuelle Corona-Pandemie hat erheblichen Einfluss auf unsere Alltagsgestaltung und Lebensführung. Es ist durchaus denkbar, dass dies in Zukunft auch unsere Gewohnheiten beim Essen und Trinken verändern kann. Oder dass bisherige Ernährungsgewohnheiten mehr oder weniger vorteilhaft sind, wenn es um eine mögliche Erkrankung mit Corona geht. 

 

Für wissenschaftliche Studien ist dieses «Setting» (relativ begrenzter Zeitumfang, alle Zuhause, meist in der gleichen Situation) ein ideales Forschungsgebiet, welches man so nicht einfach nachstellen kann (welchen potenziellen Zielgruppen von vielen Hunderttausenden kann man es schon zumuten wochenlang nicht aus dem Haus zu gehen und sich auch nur dort zu verpflegen?). 

 

Aktuell laufen eine ganze Reihe Studien zu diesen Themen. In der in Deutschland stattfindenden, mehrfach kritisierten Heinsberg-Studie werden und wurden bei den Bewohnerinnen und Bewohnern ausser Corona-Tests auch Fragen zu Vorerkrankungen und Ernährungsgewohnheiten gestellt. Das könnte interessante Zusammenhänge aufzeigen, wenn die Daten richtig interpretiert werden. In einer weiteren Studie in Deutschland geht es darum, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie und die gesundheitspolitischen Massnahmen auf das Essverhalten der Menschen haben. Aktuell gibt es dazu auch eine Umfrage. Ideal ist, wenn möglichst viele Menschen (auch aus der Schweiz) daran teilnehmen. 

 

Ob uns bestimmte Lebensmittel oder Nährstoffe bei einer Infektion helfen können, die Erkrankung zu stabilisieren oder den Verlauf zu erleichtern, erforscht derzeit eine Studie in Kiel. Dazu soll gezielt der Ernährungsstatus der Patienten optimiert werden. Hintergrund des Forschungsprojektes ist der begründete Verdacht, dass eine Mangelernährung ein wesentlicher Risikofaktor für einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung sein kann. 

 

In diesem Kontext bekommen die Themen Gesundheitsförderung und Prävention eine ganz andere Dimension. Seit ein paar Tagen wissen wir auch, dass das Corona-Virus bei einer Infektion nicht nur unsere Lunge angreift, sondern ausserdem in unserem gesamten Blutgefäss-System Entzündungen auslösen und letztlich zum Organversagen führen kann. Patientinnen und Patienten, die an Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Herzinsuffizienz oder koronaren Herzkrankheiten leiden, sind besonders gefährdet. Alle diese Vorerkrankungen gehören zu den nicht-übertragbaren Krankheiten und sind oft auch die Folgen von Fehlernährung oder schlechten Ernährungsgewohnheiten. 

Unsere Esskultur ist eng mit unserer Gesellschaft verbunden

Verändern sich die Rahmenbedingungen unseres Lebens so massiv wie im Moment, so ändern sich auch unser Essverhalten, unsere Nahrungszubereitung und unsere Wertschätzung für Lebensmittel. Nicht beantworten können wir an dieser Stelle die Frage, ob diese Veränderungen beständig sein werden, wenn wir uns wieder freier bewegen und anders konsumieren können. Wünschenswert ist auf alle Fälle, dass wir trotz der Corona-Krise unseren guten Geschmack nicht verlieren und das gemeinsame, gute Essen am Esstisch weiterhin zelebrieren – ob mit Familie, Freunden, Kollegen oder Gästen. 


P.S.: bei den rasanten Entwicklungen und der Fülle an Material konnten für diesen Beitrag nur exemplarisch Unternehmen und Aktionen genannt werden. Wenn Sie oder Ihr Unternehmen etwas Bedeutendes zur aktuellen Corona-Situation im Bereich Ernährung oder Lebensmittel beitragen, so schreiben Sie mir. Gerne erweitere ich diesen Beitrag um den ein oder anderen Link.


Bildnachweis: 

Alle Fotos von Unsplash

Titelfoto: Photo by Caroline Attwood on Unsplash


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